Am 3.Dezember, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung sollen die Menschen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt werden, die mit einer Behinderung leben.

„INKLUSION GEHT UNS ALLE AN -2020“

Beitrag von Amelia Massetti, Präsidentin von Artemisia e.V., in der Online-Veranstaltung vom 3. Dezember.

Um Protagonisten zu sein, müssen Menschen mit Behinderung in der Lage sein, unabhängig zu leben und aktiv am wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und sozialen Leben des Landes teilzunehmen. Es ist noch ein langer Weg, um alle Barrieren und Vorurteile abzubauen. Tage wie dieser können und müssen dazu beitragen, das das Bewusstsein für Menschen mit Behinderung Fragen zu schärfen und eine neue Narration von Behinderung zu fördern.

Es ist an der Zeit, die Bedürfnisse und Notlagen von Menschen mit Behinderung und ihren Familien ganz oben auf die politische Tagesordnung zu setzen.

In der Europäischen Union leben ungefähr 87 Millionen junge erwachsene Menschen mit einer Behinderung. 100 Millionen in der ganzen Welt. 8 Millionen in Deutschland.Wir können daher nicht von Menschen mit Behinderung als Angehörige einer Minderheit sprechen, denn sie sind ein Bestandteil der Gesellschaft und müssen zunehmend ein Mitspracherecht zu relevanten Themen und politischen Entscheidungen haben.

Wenn wir über Inklusion sprechen, müssen wir auch über die Ausbreitung der aktuellen Pandemie sprechen und die daraus folgende besondere Auswirkung auf das Leben von Menschen mit Behinderung. Plötzlich sehen wir uns mit einer globalen Notlage konfrontiert, die alle und jeden betrifft, vor allem aber die schwächsten Menschen.

Es hat sich gezeigt, dass die Frage der Pflege und eines wirksamen Gesundheitssystems in Notfällen von entscheidender Bedeutung ist und dass Personalmangel in Krankenhäusern und Intensivstationen den gesamten Apparat eines Landes ernsthaft gefährden kann. Viele Strukturen und Hilfsangebote, die Menschen mit Behinderung und ihren Familien wesentliche Unterstützung bieten, sind weggebrochen. Das Personal ist nicht darauf vorbereitet, die im Laufe der Zeit zunehmende Zahl von Pflegebedürftigen im Haushalt und Unterkünften zu bewältigen.

In der ersten Phase der Verbreitung von Covid 19 wurden in einigen Ländern wie in Italien, in der Lombardei, Spanien und in Amerika und mit der zweiten Welle in der Schweiz und Frankreich schmerzhafte Entscheidungen getroffen: Triage, was im Französischen Auswahl bedeutet, ein Wort, das nur in Kriegszeiten verwendet wird, wobei entschieden wird, wer bei der Versorgung den Vorrang hat. Bestimmt wird das nach dem Leistungsvermögen und dem Mehrwert der zu behandelnden Person nach Alter, Vorerkrankungen und anderen Kategorien.

Die Auswahl der Personen nach ihrem Potenzial geht aus den verschiedenen Debatten hervor. Die Ethik und der Wert der Menschen werden in diesem Augenblick der Geschichte noch instabiler. Die Ängste von Menschen mit Behinderung, ältere Personen, Migranten und anderen marginalisierten Gruppen, die sowohl das Risiko kennen, sich mit dem Virus zu infizieren, als auch die Sorge, von der Behandlung ausgeschlossen zu werden, wenn die Zahl der Infizierten exponentiell und unkontrolliert zunimmt, sind aufgetaucht.

Noch nie zuvor haben sich Menschen mit Behinderung und ihre Familien so unbehaglich gefühlt, weil sie wissen, dass ihre Ängste nicht berücksichtige werden würden.

Mehrere Monate lang waren die Werkstätten ebenso wie die Schulen geschlossen. Fernunterricht mit Menschen mit Behinderung ist viel komplizierter umzusetzen und erfordert die Beteiligung der bereits überlasteten Familien.

Alle Freizeitaktivitäten, der Dreh- und Angelpunkt, um den sich das Leben von Menschen mit Behinderung dreht, haben aufgehört und mit ihnen die Quelle der Sozialität.

In den letzten Jahrzehnten haben Menschen mit Behinderung bemerkenswerte Ziele in ihrer Selbstständigkeit erreicht.

Das ist das hervorragende Ergebnis der jahrelangen Unterstützungen und Beratungsarbeit von Familien und Organisation.

Menschen mit Behinderung sind in verschiedenen Bereichen der Kunst als Schriftsteller*innen, Maler*innen, Musiker*innen, Tänzer*innen oder Schauspieler*innen etabliert, die einen bemerkenswerten kulturellen Beitrag zur Vielfalt leisten. Andere sind international bekannte Sportler*innen geworden.

Diese Arbeit ist innerhalb weniger Monate verloren gegangen, weil ohne Kontinuität, insbesondere für Menschen mit kognitiven Defiziten, der zuvor gezeigt Weg rekonstruiert werden muss.

Die Familien sollten in besonders schwierigen Situationen sowie Betreuer*innen von Menschen mit Behinderung angemessene Unterstützung erhalten.Die Familien fanden sich erneut in der Interaktion, es sind Erwachsene, die ihre Energien in eine Reihe von Aktivitäten gelenkt hatten. Im familiären Umfeld werden Betreuungsmechanismen neu geschaffen, die stärker auf die oft nicht mehr ganz jungen Frauen fallen. Aber die persönlich-psychologischen Kosten stundenlanger Bemühungen sind unbezahlbar.

Die Arbeit der Fürsorge wurde vom Staat in wirtschaftlicher Hinsicht nicht anerkannt, denn es gibt eine erworbene Dynamik, die darauf hinweist, dass es die Familie in der Regel die Frauen sind, die alle täglichen Aufgaben im Zusammenhang mit den Pflegebedürftigen übernehmen. Familien decken die Bedürfnisse einer Gesellschaft ab, die noch nicht bereit ist, dort, wo strukturelle Defizite bestehen, angemessen einzugreifen.

4 bis 8 Millionen Menschen kümmern sich um ihre Familien und benötigen finanzielle Unterstützung in Deutschland.In Deutschland befinden sich 79 % der pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen im häuslichen Bereich.

Durch die erneute Ausnahmesituation aufgrund der zweiten Welle besteht nicht nur die Angst vor Ansteckung, sondern auch, dass wichtige Unterstützung wie ambulante Pflegedienste oder Kurzzeitpflege nicht mehr zur Verfügung steht.

Wenn wir in diesem Jahr den Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung in der Welt hervorheben, müssen wir berücksichtigen, inwieweit die Pandemie die Widersprüche und strukturellen Ineffizienzen des Systems zum Vorschein gebracht hat.

Es sind Unterschiede zwischen den sozialen Klassen entstanden, und diese sollten durch die Planung rechtzeitiger, auf Menschen mit Behinderung ausgerichteter Interventionen behoben werden, sonst können wir weder von Inklusion noch von der Verbesserung der Lebensbedingungen Menschen mit Behinderung und ihrer Familien sprechen.

Die nützlichsten Maßnahmen zur Entlastung der Pflegenden bei der Coronavirus Pandemie sind vor allem die Freistellung von der Arbeit mit Lohnfortzahlung und die kostenlose Nutzung des Pflegebeitrags, der Abbau der damit verbundenen Bürokratie und die direkte Bezahlung des notwendigen Personals.

28,7 % der Menschen mit Behinderung in Europa leben in Armut. In 11 Ländern, darunter Italien, hat sich die Situation im Vergleich zu vor 10 Jahren verschlechtert. In allen EU-Ländern sind Menschen mit Behinderung mit größerer Wahrscheinlichkeit arm und häufiger arbeitslos als Menschen ohne Behinderung.

Dies ist inakzeptabel, und wenn das Ziel wirklich darin besteht, „niemanden zurückzulassen“, dann ist ein kultureller Paradigmenwechsel erforderlich, sodass die Politiker*innen das Thema Behinderung immer als relevant betrachten.

Digital Produkte müssen barrierefrei sein.

Wir brauchen Kulturplattformen, die Online-Zugänglichkeit für alle ermöglichen, die digitale Infrastrukturen mit einfacher Sprache und Ton verbessern und sie für Menschen mit Behinderung zugänglich machen, um ein breites Spektrum an Kultur- und Informationsmöglichkeiten anzubieten.

Eine zugängliche Website stellt sicher, dass ihr Inhalt von Internetnutzern mit Behinderung genutzt werden kann, sodass ein Mangel oder eine Kombination von visuellen, akustischen, kognitiven, motorischen, mentalen und psychologischen Behinderungen nicht zu einem Hindernis für das Surfen im Internet wird.

Ein einfaches Projekt hilft vielen anderen Menschen in der Gesellschaft.

Der Prozentsatz der Kunden, die z. B. von der Nutzung elektronischer Geräte wie Smartphones oder Computern mit vereinfachter Zugänglichkeit und vereinfachtem Design profitieren könnten, wird derzeit weitgehend neu definiert.

Dies würde Menschen mit Behinderung, älteren Menschen oder Menschen mit anderen im Laufe der Jahre erworbenen Krankheiten helfen. Und auch Menschen mit einer geringeren intellektuellen Lernfähigkeit.

Davon würden nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch 6 Millionen funktionale Analphabeten in Deutschland profitieren.

30 % der in Deutschland lebenden Menschen beherrschen die deutsche Sprache nicht, wenn also alle Informationen auch in Leichter Sprache eingestellt werden können alle davon profitieren.

Inklusion ist nicht der Punkt, an dem man ankommt, sondern der Weg, auf dem man die wesentlichen Bausteine für die Schaffung der Grundlagen einer Gesellschaft, die die Bedürfnisse aller Menschen respektiert, gemeinsam gestalten muss.

In den 70er-Jahren schaffte Italien Sonderschulen ab und startete ein Inklusionsprojekt, ohne ein Modell zu haben, dem man folgen konnte. Durch Erfahrung auf diesem Gebiet wurden nach und nach die Methoden der pädagogischen Herangehensweise gefunden, die bedeutende, weithin anerkannte Veränderungen mit sich brachten.

Inklusion ist die Brücke, die wir bauen müssen, um Unterschiede zu respektieren.

Wir haben die Aufgabe, gemeinsam eine Brücke des sozialen Bewusstseins zu bauen, um eine Welt zu schaffen, die für alle geeignet ist, ohne Diskriminierung und unter Achtung der Unterschiede des anderen.

Aufgabe der Institutionen ist es, auf die Umsetzung der in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung festgelegten Bestimmungen hinzuwirken und den Zugang von Menschen mit Behinderung zu Schule, Arbeit und in allen sozialen politische und kulturellen Kontexten zu fördern.

Jede Aktivität in diesem Sinne kann einen Unterschied machen und Brücken bauen, um Egoismus und Rassismus gegenüber Minderheiten wie Migrant*innen, Wohnungslosen, lgbt Organisationen und Menschen mit Behinderung zu überwinden.

Wahre Demokratie setzt Partizipation voraus, man kann kein passiver Zuschauer von Entscheidungen sein, die das Leben Menschen mit Behinderung betreffen.

Die Bedürfnisse der Menschen müssen abgefangen werden, und das ist möglich, wenn man einen offenen 360-Grad-Blick hat.

Die Menschen sind eindeutig nicht in der Lage, ihre Wünsche und Sorgen zum Ausdruck zu bringen, aber es ist von wesentlicher Bedeutung, insbesondere mit Menschen mit Behinderung und Menschen mit psychischer Fragilität eine empathische Beziehung zu schaffen, die es uns ermöglicht, ihr Potenzial zu verstehen, um sie in wirklich wirksame Instrumente und Vorschläge umzusetzen.

Wir sollten ihre Schwächen nicht ausnutzen, sondern dazu beitragen, ihr Bewusstsein zu stärken.

Schule

In Deutschland ist die Anzahl der Sonderschulen im Vergleich zu inklusiven Regelschulen sehr hoch, und dies ist kein positives Zeichen.

Das bedeutet, dass sich die Familien immer noch nicht trauen, ihre Kinder mit Behinderung an Regelschulen anzumelden, weil es an inklusiver Bildung mangelt.

Das Schulpersonal ist nicht auf inklusiven Unterricht spezialisiert, und es gibt zu viele Klassen, um den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Bei dieser Pandemie sollte die Notwendigkeit in Betracht gezogen werden, Räume mit einer kleineren Anzahl an Schüler*innen zu schaffen, in denen es dem Lehrer*innen möglich ist, allen Schüler*innen sorgfältig zu folgen, ohne jemanden zurückzulassen.

Arbeit

Der Anteil der Menschen mit Behinderung, denen der Einstieg in den Arbeitsmarkt gelingt, ist immer noch zu gering, und die Werkstätte erfüllen nicht die Parameter des Inklusionsprojekts.

Diese sollten eine Trainingsphase sein, aber das ist nicht der Fall. Nur 0,2 bis 0,3 % der Menschen mit Behinderung schaffen es, außerhalb der Werkstätten, in der regulärer Arbeitsmarkt zu finden.

 Menschen, die in Werkstätten arbeiten, haben einen Mindestlohn, der nicht den tatsächlich angebotenen Fähigkeiten und Leistungen entspricht.

Diese Ungleichheiten schaffen Frustration in einer Welt, die sich selbst demokratisch nennt und gleichzeitig die wirklichen Bedürfnisse des Einzelnen respektiert.

Mehr Schutz für Menschen mit Behinderung vor Gewalt – insbesondere für Kinder und Frauen

Frauen und Kinder mit Mehrfachbehinderungen sind anfälliger für Diskriminierung, und dabei häufig Opfer von Gewalt.

In Deutschland gibt es viele Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

Der Nationalrat ist eine Angelegenheit von internationaler Bedeutung. Sie muss zum Schutz investieren und braucht professionelle Unterstützung.Der Sensibilität für das Thema muss gestärkt werden.

Menschen mit Behinderung sind einem größeren Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt zu werden, weil sie von anderen Menschen abhängig sind, und es kann mehr Fälle von Gewalt in Pflegeheimen und Wohnheimen geben, nicht nur in der Kindheit, sondern auch im Erwachsenenleben.

Es müssen Präventionsmaßnahme geschaffen werden, damit die Menschen mit Behinderung sich Gewalt nicht unterwerfen müssen.

Es ist notwendig, in die Schule zu investieren, um Fachpersonal zu haben, das den Kindern und nicht nur denjenigen mit einer Behinderung hilft, ihre Rechte zu kennen.

Die EU-Kommission soll Inklusion und Zugänglichkeit zum Querschnittsthema der europäischen Entwicklungszusammenarbeit und der Politik der humanitären Hilfe machen.

Inklusion braucht Demokrat*innen, die sich dafür einsetzen, insbesondere marginalisierte Gruppen und Menschen mit Behinderung, einer Gesellschaft die sozialpolitische Teilhabe zu ermöglichen, die den Aufbau von professionellen Strukturen unterstützen, damit das Leben von Benachteiligten deutliche Verbesserungen erfährt.

All diejenigen, die für eine demokratische Gesellschaft kämpfen, die die Menschenwürde achten, müssen sich verpflichten, die bereits ratifizierten Gesetze zur Inklusion und Antidiskriminierung durchzusetzen.

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